Pflegeimmobilien und Angebote im betreuten Wohnen sind Wachstumsmärkte in Deutschland. Dafür sorgt allein schon die demografische Entwicklung: Schon jetzt sind fast 20 Prozent der Deutschen mindestens 65 Jahre alt. 2030 werden es knapp 30 Prozent sein und fast jeder Zehnte ist dann sogar älter als 85 Jahre. Damit einhergeht ein immenser Investitionsbedarf für den Immobiliensektor. Doch reichen in diesem Zusammenhang die vorhandenen Pflegekonzepte aus? Schließlich hat die Corona-Pandemie einige Schwachstellen des Sektors schonungslos offengelegt. Im folgenden Interview erörtern ein Betreiber und ein Investmentmanager, was sich ändern muss und was so bleiben kann. Red.
Herr Rothe, wie stark ist Ihr Unternehmen als Betreiber für stationäre Pflege und betreutes Wohnen von der Corona-Krise betroffen?
Bernd Rothe: Zum Glück hatten wir bislang keinen einzigen Corona-Fall. Wir haben die Hygienemaßnahmen streng eingehalten und bei den Intensivpflegeeinrichtungen teilweise sogar Schleusen an den Eingängen eingerichtet. Dies, die Besuchsverbote für Angehörige und die Aufnahmestopps sind selbstverständlich für alle Beteiligten sehr schwer zu ertragen, seien es Bewohner, Angehörige oder Mitarbeiter.
Herr Grimm, aus Ihrer Sicht als Fondsmanager und Entwickler welchen Einfluss hat die aktuelle Krise auf das Interesse der Investoren an Pflegeimmobilien?
Nico Grimm: Aktuell ist die Nachfrage konstant. Die Corona-Pandemie hat den steten Wachstumstrend der vergangenen Jahre für eine überschaubare Zeitspanne unterbrochen. Mittel und langfristig rechnen wir jedoch mit einer weiterhin steigenden Nachfrage. Denn in der uns bevorstehenden rezessiven Phase der Wirtschaft werden Investoren verstärkt nach risikoarmen Anlagemöglichkeiten suchen. Institutionelle Investoren werden die nun aufgeschobenen Investitionen sicherlich Ende dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres nachholen.
Welche Vorteile bietet betreutes Wohnen in diesem Zusammenhang gegenüber klassischen Pflegeheimen für Investoren?
Nico Grimm: Für Investoren ist der Markt für betreutes Wohnen attraktiver, weil er nicht so stark reglementiert ist wie der Markt für stationäre Pflege, insbesondere hinsichtlich der erzielbaren Pachteinnahmen, Bauvorschriften und der Vorgaben zu dem Pflegebetrieb.
Herr Rothe, welche wesentlichen Eigenschaften müssen die Liegenschaften aufweisen, die für das Geschäftsmodell der Cosiq geeignet sind?
Bernd Rothe: Die Immobilien müssen für die jeweiligen Pflegesettings und Krankheitsbilder geeignet sein, damit wir sie nachhaltig betreiben können. Weiterhin müssen sie den marktüblichen Vorgaben entsprechen und das nicht nur heute, sondern auch dem, was wir in 20 Jahren zu erwarten haben. Für Residenzen und betreute Wohnanlagen gilt das Gleiche: Je nach Zielgruppe müssen die Appartements passgenau konzipiert werden. Die Standorte spielen dabei eine wichtige Rolle
Herr Grimm, wie wählen Sie Bestandsimmobilien und Projektstandorte aus?
Nico Grimm: Zunächst prüfen wir die Soziodemografie sowie den Betreiber und die Wettbewerbsfähigkeit seines Konzepts. Hierauf aufbauend erfolgt die Einschätzung des Standorts, für den wir zentrumsnahe, attraktive Lagen bevorzugen. Zwingend erforderlich ist eine gute Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr und eine ebenso gute Nahversorgung. Die Nähe zu einem gewachsenen Wohngebiet ist essenziell, sofern wir in betreutes Wohnen investieren, weniger bei stationärer Pflege.
Und wie den infrage kommenden Betreiber?
Nico Grimm: Vorzugsweise arbeiten wir mit regional sehr gut vernetzten Betreibern zusammen. Sie sollten seit mindestens fünf Jahren erfolgreich tätig sein und mindestens 500 Betten verwalten. Unter Risikoaspekten wichtig ist eine starke Bonität, wie sie in der Regel von der Betreiber-Holding gestellt wird. Neben den üblichen, den Wert treibenden Leistungskennziffern im Pachtvertag erwarten wir ein zukunftsweisendes Konzept. Unverzichtbar sind Antworten für den Umgang mit künftigen Pandemien und gute Arbeitsbedingungen sowie eine gute Bezahlung für das Pflegepersonal vorsieht.
Herr Rothe, gibt es neue Erfordernisse für das Betriebskonzept der Cosiq beziehungsweise passt die Cosiq ihre Betriebsabläufe angesichts der mit der Corona-Pandemie gesammelten Erfahrungen an?
Bernd Rothe: Grundsätzlich haben gut geführte Pflegeeinrichtungen ein ausge-reiftes Hygienekonzept und sind gerüstet für jegliche Arten von Krankheitsausbrüchen, sei es infolge multiresistenter Keime oder starken Virenbefalls. Trotzdem kann man aus dieser Krise zum Beispiel für künftige Grippeepidemien lernen, bei denen in der Vergangenheit aus meiner Sicht in Pflegeheimen mehr Menschen starben als in dieser Pandemie bis dato.
Die Abstandsund Hygienemaßnahmen können bei kommenden Virenausbrüchen jederzeit zum Einsatz kommen, aber eben gezielter auf den jeweiligen Virus abgestellt. Bezüglich der Betreuung werden wir Angebotsformen wie beispielsweise Kleingruppen mit Abstandsmaßnahmen weiterentwickeln. Immobilien, die mehr Einzelals Doppelzimmer aufweisen, sind für Quarantänemaßnahmen besser geeignet.
Herr Rothe, laut Umfrage von Vivum ist der Mangel an Pflegepersonal und die geringe Attraktivität der Pflegeberufe das größte Problem. Wie gehen Sie damit um?
Bernd Rothe: Auf vielen Ebenen wird mittlerweile vom Gesetzgeber versucht, die Attraktivität des Berufs zu verbessern. Aber die entscheidenden Schritte, nämlich höhere Personalschlüssel, Änderung der starren Fachkraftquote und Reform der Aufgaben und Kompetenzen bei Fachund Hilfskräften, fehlen noch.
Für uns bedeutet das vor allem, die Möglichkeiten innerhalb dieses engen Korsetts so weit wie möglich zu nutzen, dabei transparent und ehrlich zu führen und die Mitarbeiter so gut wie möglich zu fördern. Eine faire Bezahlung gehört selbstverständlich auch dazu, aber ohne diese haben Sie bereits jetzt ein Problem.
Herr Grimm, muss die Wirtschaft das heißt Betreiber, Investoren, sonstige Beteiligte mehr tun, um dem Mangel an Pflegekräften entgegen zu wirken?
Nico Grimm: Ich erkenne in der Corona-Krise die Chance, die enorme gesellschaftliche Bedeutung des Pflegesystems in Deutschland hervorzuheben und die Strukturen zu reformieren. Dazu gehören mehr Personal und eine bessere Bezahlung. In der Altenpflege verdienen sowohl Hilfsals auch examinierte Fachkräfte erheblich weniger als in der Krankenpflege. Lediglich 20 Prozent der Beschäftigten arbeiten in tariflichen Arbeitsbedingungen.
Die stärkere Digitalisierung wird zudem ein Schlüssel auch für die Bekämpfung künftiger Epidemien. Wirtschaft und Politik können in Summe also stark nachbessern. Ein wichtiger Baustein hierzu scheint der Fünf-Punkte-Plan der Bundesregierung zu sein.
Herr Rothe, was halten Sie vom kürzlich aktualisierten Fünf-Punkte-Plan des Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung?
Bernd Rothe: Die Politik drückt sich wohl aus Kostengründen weiterhin davor, die Personalschlüssel auf ein notwendiges Maß zu erhöhen und dabei die eklatanten Unterschiede in den verschiedenen Bundesländern zu beseitigen. Vom zusätzlich vorgeschlagenen Flächentarif halte ich nichts, da erstens jetzt schon alle bestehenden Tarife refinanziert werden und die Personalkosten mittlerweile nachgewiesen werden müssen und damit für Betreiber ein durchlaufender Posten geworden sind.
Ergo gibt es keinen Grund mehr, nicht das maximal von den Kassen refinanzierte Lohnniveau zu zahlen. Zweitens belohnen Tarife Faulenzer und bestrafen leistungsstarke Mitarbeiter. Drittens führt die Knappheit ohnehin dazu, dass die Löhne weiter steigen werden. Die weiteren Punkte zu Arbeitszeit, Substitution und Digitalisierung sind zwar richtig, aber nicht konkret durchdacht. Pflegekammern bringen nur zusätzliche Bürokratie und Kosten.
Herr Grimm, können diese Vorschläge den Mangel an Pflegekräften dauerhaft beheben?
Nico Grimm: Ich stimme Herrn Rothe zu. Zudem bin ich zuversichtlich, dass wir zunehmend einen gesellschaftlichen Konsens entwickeln werden, der auch kostspielige und teils schwierige politische wie auch wirtschaftliche Änderungen zulässt. Wichtig wird sein, dass die Reformen nachhaltig und konjunkturunabhängig wirken. Nachbesserungen und immer neue Reformen schaden der Planungssicherheit aller.
Zur Person: BERND ROTHE Geschäftsführer, cosiq GmbH, Berlin
Zur Person: NICO GRIMM Geschäftsführer, VIVUM Services Frankfurt GmbH, Frankfurt am Main